Friedrich Wilhelm Hackländer »Ein Winter in Spanien«

Literatur über Andalusien gibt es nicht nur von spanischen Autoren, sondern auch von erstaunlich vielen deutschen Schriftstellern. An dieser Stelle stellen wir hier einen Reisebericht aus dem Winter 1853/54 vor, den der deutsche Schriftsteller und Globetrotter Friedrich Wilhelm Hackländer verfasst hat.
Friedrich Wilhelm Hackländer
Porträt von Friedrich Wilhelm Hackländer (1863) ( Public Domain (CC0) )

Ein Reisebericht aus dem 19. Jahrhundert

Heute steigen wir in den Billigflieger und sind nach 3 Stunden in Málaga. Aber wie reisten Touristen im Jahr 1853 von Stuttgart nach Andalusien? Ohne Flugzeug, ohne Auto, aber mit den wenigen Eisenbahnen, ständig verspäteten Schiffen, ungefederten Postkutschen – manchmal »Omnibus« genannt – auf unbefestigten Wegen oder aufgesessen auf einem störrischen Maultier oder kräftigen Gaul. Ständig in Gefahr, von Räubern überfallen zu werden oder im Dunkeln einen Abhang hinabzustürzen.

Kein elektrisches Licht, keine Taschenlampe, kein Handy, um das Treffen mit Mitreisenden abzustimmen. Kein GPS, um sich zurechtzufinden. Kein Wetterbericht, der Auskunft gibt über das Wetter auf der Strecke, die der Reisende nehmen möchte. Keine Möglichkeit, irgendwo Geld abzuheben oder online zu überweisen, lediglich telegrafisch zwischen den jeweiligen Hauptstädten. Unterwegs ist das Zusammentreffen mit anderen ausländischen Touristen so selten, dass man sich unbedenklich untereinander Bargeld ausleiht.

Kein Google Übersetzer, um sich in fremden Sprachen verständlich zu machen. Kaum Hotels, die auf Touristen eingestellt sind. Kein Baedeker und kein TripAdvisor, der verrät, welche touristischen Ziele sich lohnen. Die gerade erfundenen unhandlichen Kameras sind spezialisierten Fotografen vorbehalten. Wer als Tourist das Gesehene im Bild festhalten will, muss zu Papier, Bleistift oder Pinsel greifen. Somit ist es ein Glück, dass Hackländers kleiner Reisegruppe ein Kunstmaler angehört.

Einer der bekanntesten Schriftsteller seiner Zeit

Friedrich Wilhelm Hackländer wird am 1. November 1816 in Burscheid in NRW geboren. Im Jahr 1840 zieht er nach Stuttgart und wird Hofrat und Reisebegleiter des württembergischen Kronprinzen Karl. So kommt er viel in Italien und im Orient herum. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gehört Hackländer zu den am meisten gelesenen Schriftstellern in Deutschland.

Er ist ein Zeitgenosse des bayerischen Märchenkönigs Ludwig II., der österreichischen Kaiserin Sissi, des deutschen Naturforschers und Entdeckers Alexander von Humboldt und von Karl May, der sich die Reisen und Abenteuer seiner Fantasie-Figuren Kara Ben Nemsi, Hadschi Halef Omar und Winnetou nur ausdenkt, während Hackländer alles Geschriebene selbst erlebt hat.

In der öffentlichen Wahrnehmung stehen die deutschen Weltreisenden des 19. Jahrhunderts hinter den britischen Vorreitern des modernen Tourismus zurück. Aber Hackländer ist ein gutes Beispiel, dass es sie gab.

Lange Anreise nach Spanien

Im Winter 1853/54 unternimmt Hackländer eine mehrmonatige Reise von Stuttgart nach Andalusien. In »Ein Winter in Spanien« hat Hackländer die Stationen der Reise sowie Land und Leute so anschaulich beschrieben, dass sich der Leser sofort in den zeitgenössischen Zustand von Barcelona, Madrid, Granada, Sevilla und anderer bekannter Orte hineinversetzt fühlt. In Marseille stoßen der Münchener Maler Theodor Horschelt und in Barcelona der bekannte Stuttgarter Architekt Christian Friedrich von Leins als Reisegefährten zu ihm.

1835 war in Deutschland die erste Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach Fürth in Betrieb genommen worden. Es ist erstaunlich, dass Hackländer und seine Familie bereits 1853 mit der Schwäbischen Eisenbahn von Stuttgart über Ulm nach Friedrichshafen reisen können. Eine durchaus anspruchsvolle Strecke mit vielen Brücken und Tunneln. Eine große Ingenieurs-Leistung, wenn man z.B. die nicht enden wollende Zeitdauer zum Bau des Bahnhofs »Stuttgart21« damit vergleicht. 1853 fängt man in Spanien gerade an, die erste Eisenbahnlinie von Madrid nach Valencia zu bauen, die Hackländer aber nur auf dem kurzen Abschnitt nahe Madrid benutzen kann.

Von Friedrichshafen fährt Hackländer mit dem Schiff in die Schweiz und mit Bahn und Kutsche in das damals österreichische Mailand. Über Genua und Livorno macht er einen Abstecher nach Florenz, wo er die Familie zurücklässt, und reist mit dem Schiff nach Marseille, wo er auf seine beiden anderen Reisebegleiter warten soll. Mit dem Schiff geht es nach Barcelona und von dort auf abenteuerlichen Wegen über Valencia und durch die verschneite La Mancha nach Madrid.

Mit dem Zug fahren sie nach Aranjuez. Von dort reiten sie mit dem Pferd nach Bailén und sind nun in Andalusien. Mit der Kutsche geht es über Jaén nach Granada. Die Strecken auf meist fürchterlichen Wegen entsprechen heute in etwa dem Autobahnnetz.

Stell dir folgende Kurzbeschreibung eines Unfalls in einem Roman unserer Gegenwart vor: »Als sein Fuß von der Kupplung rutschte, verriss er das Lenkrad und das Auto krachte gegen eine Mauer, wobei der Airbag ausgelöst wurde. Aus dem Tank tropfte Benzin. Ein Pärchen, das in unmittelbarer Nähe gerade ein Selfie schoss, telefonierte nach der Polizei.«

Ein Zeitgenosse von Hackländer würde überhaupt nichts verstehen, weil er keine Vorstellung davon hat, was mit einem Auto, einer Kupplung, einem Lenkrad, einem Airbag, einem Tank, Benzin, einem Selfie und Telefonieren gemeint sein soll. Genauso ratlos ist der heutige Leser, wenn Hackländer auf die verschiedenen Arten von Kutschen, ihre Aufteilung in unterschiedliche Sitzgelegenheiten und ihre Gespanne eingeht.

Kutschen waren ja zu seiner Zeit das wichtigste Personen-Transportmittel und Hackländer konnte davon ausgehen, dass er sie seinen zeitgenössischen Lesern nicht im Detail erklären musste.

Rundreise durch Andalusien

Die Beschreibung der Stadt Granada ist auch für heutige Leser noch interessant, während man die ausführlichen Beschreibungen der Alhambra und Hackländers Fantastereien dazu nicht gelesen haben muss. Sein Versuch, die Kostbarkeiten der maurischen Architektur der Alhambra dem unkundigen deutschen Leser in Bandwurmsätzen nahezubringen, ist misslungen. Hackländer konnte seinem Bericht ja keine erklärenden Fotos beifügen. Hackländers Vergleiche der in seinen Augen durchweg schönen Andalusierinnen mit anderen Europäerinnen wirken aus heutiger Sicht ziemlich plump.

Von Granada reiten Hackländer, Leins und Horschelt zusammen mit einem ortskundigen Führer in drei Tagen nach Córdoba, auf einer Route zwischen Sierra Orbe und den Sierras Subbéticas hindurch, die heute ungefähr dem Verlauf der Nationalstraße N-432 entspricht. Der Weg ist so schlecht, dass dort keine Kutschen verkehren können. Wer mit der Kutsche von Granada nach Córdoba und weiter nach Sevilla reisen will, muss den Weg über Jaén und Bailén (heute A44) nehmen, wo er auf die Straße von Madrid nach Sevilla (heute Autovía A-4) stößt.

Von Córdoba geht es weiter mit dem »Eilwagen« aus Madrid nach Sevilla. Dort besichtigen sie unter anderem die Königliche Tabakfabrik, welche zwanzig Jahre später durch die Oper »Carmen« von George Bizet Weltruhm erlangen wird.

Anders als im heutigen Massentourismus, haben die drei Reisenden keine Mühe, alle bedeutenden touristischen Hotspots ungestört und ohne Warten zu besichtigen, ja sie werden dort sogar von privaten Führern individuell herumgeführt. Sei es in der Alhambra in Granada, in der Mezquita-Kathedrale von Córdoba, im Weingut des Sherry-Produzenten Domecq in Jerez de la Frontera oder in den Felsengängen der britischen Festung Gibraltar.

Die letzten Stationen der Reise werden auf verschiedenen Dampfschiffen zurückgelegt. Zuerst mit dem Flussdampfer nach Cádiz, wo ein Ausflug nach Jerez eingelegt wird. Dann geht es mit Dampfschiffen über Gibraltar nach Oran, eine Stadt im damaligen französischen Algerien. Dort bleibt der Maler Horschelt zurück, während Hackländer und Leins mit einem Dampfer nach Marseille zurückkehren und Hackländer weiter fährt nach Livorno, um seine Familie in Florenz abzuholen.

Die Sprache des Buches ist etwas altmodisch, aber flüssig zu lesen. Nimm also eine Papiercigarre, stelle eine feine, dicke Chocolade auf den Tisch, vertiefe dich in das Buch und lasse dich »ächt andalusisch« in das 19. Jahrhundert entführen.

1860 wird Hackländer vom österreichischen Kaiser in den Adelsstand erhoben. Er stirbt am 6. Juli 1877 in seiner Villa in Leoni am Starnberger See. Auf dem Stuttgarter Pragfriedhof erinnert ein Grab mit Obelisk an diesen heute kaum noch bekannten deutschen Bestseller-Autor.

Das Buch »Ein Winter in Spanien« kannst du kostenlos als E-Book auf dein Kindle herunterladen, als Nachdruck im Taschenbuchformat erwerben oder kostenfrei im Internet im Projekt Gutenberg lesen.

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