Estepona 1972: Der Spion, der aus der Kälte kam

In einer Senke auf einer Hacienda in den Hügeln hinter der verschlafenen Kleinstadt Estepona wurde am 7.September 1972 eine männliche Leiche gefunden. Neben der Leiche lagen ein Röhrchen mit Aspirin-Tabletten und eine Brieftasche mit Papieren, die den Toten als Vladimir Kazan-Komarek auswiesen. Man fand auch einen Schlüssel, der zu seiner kleinen Wohnung in Estepona passte. Die Leiche war stark verwest. Der Tod musste bereits zwei Monate vorher eingetreten sein. Das Gericht in Marbella gab die Leiche des 48-jährigen Mannes zur Einäscherung frei, nachdem der Gerichtsmediziner keine Anzeichen eines gewaltsamen Todes feststellen konnte.

Dabei hatte ein Amerikaner namens Samuel Berman bereits am 5. Juni das amerikanische Konsulat in Sevilla informiert, dass Kazan-Komerak seit dem 11. Mai vermisst würde. Berman lebte ebenfalls in Estepona und war ein Bekannter von Kazan-Komarek. Berman berichtete, der Vermisste hätte vorgehabt, in Kürze zusammen mit dem ebenfalls in Estepona lebenden kanadischen Ehepaar Duncan in die USA zu fliegen. Das US-Konsulat wies die Meldung zurück, nachdem es auf einmal hieß, Kazan-Komarek sei Anfang Juni in Estepona gesehen worden.

Merkwürdigerweise hielten es die spanischen Behörden nach dem Fund der Leiche im September nicht für nötig, die Witwe des Toten in den USA über den Tod ihres Mannes zu informieren. Das übernahm stattdessen das kanadische Ehepaar. Bis heute gibt es Zweifel, ob der Tote tatsächlich Kazan-Komarek war. Es wurde nie untersucht, ob das Gebiss des Toten identisch war mit den Zähnen von Kazan-Komarek.

Und die Frage bleibt unbeantwortet, warum ein so erfolgreicher und gut aussehender Geschäftsmann seine Familie in den USA verlassen und sich in einen entlegenen Winkel in dem damals noch von Diktator Franco regierten Spanien verkrochen haben sollte.

Wer also war Vladimir Kazan-Komarek?

Als junger Mann war Kazan-Komarek während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis eingesperrt worden. Von 1945 bis 1946 arbeitete er für die US-Army in Europa und kehrte dann in die Tschechoslowakei zurück. Als dort die Kommunisten 1948 die Macht ergriffen, floh er nach Paris und siedelte 1953 in die USA. Hier arbeitete er in einem Reisebüro, heiratete eine ausnehmend schöne Frau, mit der er fünf Kinder hatte, und erhielt die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

Seine Tragödie begann, als er sich am 31. Oktober 1966 auf einem Rückflug von einer Konferenz für Reisebüro-Agenten von Moskau nach Paris befand. Das sowjetische Flugzeug musste wegen eines technischen Defekts außerplanmäßig in Prag zwischenlanden. Die tschechoslowakischen Behörden nutzten die Gunst der Stunde und verhafteten Kazan-Komarek mit der Begründung, er habe zwischen 1948 und 1950 ein amerikanisches Spionage-Netzwerk in der Tschechoslowakei betrieben. Er wurde zudem für den Tod eines tschechoslowakischen Grenzpolizisten verantwortlich gemacht.

1967 wurde Vladimir Kazan-Komarek in Prag der Prozess gemacht. Auf diplomatischem Druck der USA wurde der Hauptvorwurf der Spionage für einen US-Geheimdienst fallengelassen. Der Druck war von US-Senator Edward Kennedy ausgegangen, dessen Bruder Robert zufällig im gleichen Flugzeug wie Kazan-Komarek gesessen hatte. Wegen weniger schwerwiegender Spionagevorwürfe wurde Kazan-Komarek dann zu acht Jahren Haft verurteilt.

Nachdem Vladimir Kazan-Komarek vorzeitig freigekommen und in die USA zurückgekehrt war, räumte er dort ein, im Auftrag eines französischen Geheimdienstes tschechoslowakische Oppositionelle aus der Tschechoslowakei herausgeholt zu haben. Tatsächlich war er einer der wichtigsten Agenten des französischen Geheimdienstes SDECE gewesen, für den er in der Tschechoslowakei ein Netzwerk von Helfern zur Befreiung und Ausschleusung von Gegnern des kommunistischen Regimes, denen die Todesstrafe drohte, aufgebaut hatte. Das Netzwerk flog auf und Kazan-Komarek gelang als Einzigem die Flucht in den Westen, wobei er an der Grenze in einen Schusswechsel geriet und danach schwer verletzt einige Monate in einem Hospital in Paris verbrachte.

Als langsam Gras über die spektakuläre Affäre wuchs, wurde Kazan-Komarek Präsident des Reiseservices der Harvard Universität. 1971 ließ er jedoch plötzlich seine Frau und fünf Kinder in der Villa in Wellesley in Massachusetts zurück und verschwand nach Spanien. Im November tauchte er in Estepona auf, wo er ein unauffälliges Leben führte und an einem Buch über das Fliegen arbeitete. Warum er dann im Mai 1972 den Flug mit dem kanadischen Ehepaar Duncan verpasste, ist unbekannt. Das amerikanische Außenministerium versicherte, es sei nichts darüber bekannt, ob Vladimir Kazan-Komarek in den letzten Jahren für einen US Geheimdienst tätig gewesen war. Und das kanadische Ehepaar Duncan glaubt nicht an Selbstmord, denn Vladimir sei ein fröhlicher Mensch gewesen.

Hier kannst du den original Zeitungsbericht der New York Times von Dezember 1972 zu dem Fall nachlesen.

Von Wolfgang Zöllner

Verfasst am 6. Februar 2023
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